Wendelin Haverkamp im Ballenlager

Vielleicht schaffen es beim nächsten Mal ja etwas mehr zum Kabarett-Abend von Wendelin Haverkamp. Am Freitagabend wollten leider nur wenige Dutzend "Nix als die Wahrheit" erleben, aber es sprach auch für die Klasse des Kabarettisten, dass er die vermeintliche Leere mit unglaublicher Präsenz und Energie füllte. So verwandelte er das Ballenlager in einen gemütlichen Raum mit "Atmosphäre", dazu brauchte er auch nur wenige Requisiten. Ein Pult, ein runder Tisch, die obligatorische graue Strickjacke, dies genügte an äußerem Beiwerk, das wichtigere waren dann Wahrheiten über das Leben.

Diese präsentierte er, mit 55 Jahren hat man viel zu erzählen, auf unglaublich einfühlsame Art. Mit seinem langjährigen Partner und Freund, dem Musiker Freddy Matulla, gab es dann Balladen mit Klavier- und Gitarrenbegleitung, deren Poesie einfach betörend war. Vom "Dritten Bein" als Bestandteil der Menschenrechte bis zum Tag aus dem Leben einer "Frikadelle", das Spektrum war breitgefächert, ging aber nie ins flache Land der Comedy, dafür ist der Blick von Wendelin Haverkamp zu scharf und sein Gespür für Qualität einfach zu ausgeprägt. Die Zeiten als Bassist in der Rockband von Jürgen von der Lippe sind ja glücklicherweise lange vorbei.

Hintergründige Lieder wie "Ich möchte leise sein" zeigten seinen fast philosophischen Umgang mit der Wahrheit - wofür sollte ein Studium der Philosophie und Germanistik wohl sonst gut sein - aber wenn er seine Strickjacke anzog und zum Lehrer Anton Hinlegen wurde, dann war er dem Publikum so vertraut wie aus den 80er Jahren, als man seinen Radiobeiträgen lauschte. Nach der Devise "es muss doch möglich sein zu lachen, ohne das Denken dabei einzustellen", litt man mit dem Schüler, der sich im Gedicht "Werner von Ribbeck" verhaspelte und von Pflaumen bis zum Bier alles in die Quitte hineinimprovisierte.

Das nachlassende Bildungsniveau beleuchtete Wendelin Haverkamp an Hand des Lehreralltags ebenso wie durch Betrachtung frisch gewählter Volksvertreter, durch Sprachverstümmeler und Fun-Boarder als neue Trendsetter. Und immer wieder führte er als unversöhnlicher Betrachter der Zeit das Publikum zum Kern aller Dinge, den sogenannten Wahrheiten. Mit sprachlicher Leichtigkeit und höchstem Unterhaltungswert erzählte er auf unbeschwerte Art, packte seine Spitzen in Samt und Seide, ohne deren hochdosierten Inhalte zu verwässern.

Wendelin Haverkamp blieb sich in seinem neuen Programm treu, zwischen Schwarz und Weiß gab es für ihn eben mehr als nur Grau. Seine Schilderung aus der Zukunft auf die neuentdeckte Art des Papers, des Bezahlens mit Papiergeld und richtigen Läden, in denen man die Waren noch anfassen kann, zeigte die Perspektiven, seine Suche nach den Gründen für die pestilenzartig sich verbreitende Dummheit im Lande eine eindrucksvolle Analyse. Moralisch ohne erhobenen Zeigefinger, dafür reichte ihm der kleine Finger der rechten Hand, erlebte man einen Abend, geprägt von Esprit, Intelligenz und leisen Tönen. Beim nächsten Besuch wird alles anderes, dann kommen mehr und alles wird gut.

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