Jens Neutag in der Kulturschmiede

Es gab schon Philosophen in der Tonne, Eremiten auf der Bergspitze, warum also nicht auch einen Kabarettisten, eingesperrt in den Keller eines deutschen Mittelklassehotels? Welch weltbewegenden Gedanken mögen dem nächtlich Eingesperrten zwischen diversen Eimern Majonaise, Quark, Speiseöl und eingelegten Gurken durch den Kopf gehen?

Auf all diese und noch viel mehr Fragen bekamen die standhaften und Unwetter erprobten Kabarettfans am Samstagabend ihre Antworten von Jens Neutag, der mit seinem Programm "Abgefrühstückt" in der Kulturschmiede einen exquisit unterhaltsamen Abend bot. Die Kulturinitiative hat in ihren fast 20 Jahre immer wieder den Mut besessen, auch unbekannteren Künstlern ein Podium für künstlerische Aktivitäten zu bieten. Denn Bekanntheitsgrad durch Funk und Fernsehen hat ja nicht unbedingt etwas mit Qualität zu tun, selbst Wendelin Haverkamp. trat vor "nur" 15 Personen im Ballenlager auf. Und so folgte man Jens Neutag bereitwillig auf seinem Parcourritt durch die Niederungen des Alltags einer ganzen Generation der Verweigerer, die lieber die Zeit totschlagen als Barrikaden zu besteigen.

Was ist nur aus den Kindern der wilden 68-er Revolutionäre geworden, die zwischen Waldorf und E.T. ihre eigene Nichtidentität finden mussten? Jens Neutag wusste es natürlich, verkörpert er doch all die "Untugenden" dieser besonderen Spezies. Im Zeitalter einer Kanzlerin verändert sich aber selbst das Rollenverständnis eines Jens Neutag. Auf die Sichtweise kommt es eben an. Da wird das Klagen über die eigene Not in Deutschland zur Farce im Angesicht der globalen Herausforderungen, das Warten auf den Aufschwung zum Synonym der persönlichen Apokalypse.

Mit seiner humoristisch geprägten Art eroberte Jens Neutag nicht nur die Herzen des Publikums, sondern sicherlich für sich auch einen festen Platz in der ersten Reihe der virtuosen Wortkünstler. In der Beschaulichkeit eines unaufgeräumten Kellers kommen einem die besten Ideen, lässt es sich gut philosophieren über die Unsinnigkeit eines die eigenen Werte verlorenen Lebens.

Und auch wenn all sein Schreien und Toben selbst den tamilischen Aushilfskoch im Nachbarhaus nicht erreichte, sein Publikum faszinierte Jens Neutag jederzeit. Man erfuhr viel von der ganz spezifischen Art, wie eine ganze Generation das Geschehen dort oben empfindet. Denn auf die Sichtweise kommt es an, wenn die Verweigerung zum Dauerzustand trotz Pisa und Wirtschaftsflaute wird. Jens Neutag bereitete dem Publikum einen unterhaltsamen Abend, dessen Bissigkeit sich nicht verlor in comedy-angelehnter Oberflächlichkeit, sondern zum Nachdenken animierte.

  

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