Ana Sojor in der Kulturschmiede

Es ist Krieg. Schützend schlingt sie die Arme um sich, sanft streicht die Hand über den Bauch, als tröste sie ihr Kind, wild trommeln die Füße den Zupateado, als flüchte sie vor der Gefahr, hoch reckt sie die Arme, voll Sehnsucht, lässt sie sinken, verzweifelt. Ana Sojor tanzt den Schmerz.Eine Katze schleicht auf samtenen Pfoten durch ein andalusisches Dorf. Schläfrig schauen ihr die Männer zu, die im Schatten des Cafes sitzen. Die Gitarre unterhält sich leise mit den Percussions, der Bass brummt eine Bemerkung, die Querflöte macht einen Scherz. Antonio Vito (Gitarre), Conny Sommer (Percussion), Efrain Oscher (Querflöte) und Benjamin Hüllenkremer (Bass) setzten am Samstagabend, zwischen den Auftritten der Hamburger Tänzerin Ana Sojor, in der ausverkauften Kulturschmiede einen entspannten, jazzigen Kontrapunkt zu den herzzerreißenden Flamencoliedern von Carmen Fernandez.

Es ist Krieg. Die Männer sind verschwunden, nur nachts kommen sie, bleich, die Münder blutig. Tags schreien die Kinder, und es gibt kein Brot. Wild trommeln die Füße den Zupateado, voll Zorn. Stolz wirft die Tänzerin den Kopf zurück, reckt die Arme, fordernd, anklagend. Die Hände greifen, als pflückten sie den Apfel vom Baum des Lebens, trotz der Angst, trotz des Schmerzes. Die Hüften kreisen, die Brust bebt, das Leben ist grausam und wild und schön. Das Publikum applaudiert auf offener Szene. Ana Sojor tanzt die Kraft.

Die Katze stoppt. Ein Vogel. Die Töne der Flöte perlen, leise, leise zaubert der Bass Samtpfoten auf die Bühne - ein Schrei, die Gitarre lässt Federn fliegen, das kleine Vogelherz trommelt. Noch einmal davon gekommen. Die Zuhörer sind hingerissen von den Improvisationen der Compania, die in Greven zum ersten mal in dieser Zusammensetzung spielt.Stille. Nur die Füße stampfen, leise klatscht die Compania den Rhythmus. Der Schatten der sich fächernden Finger huscht über die weißen Schultern der Tänzerin, das schwarze Kleid wirbelt über zarten Fesseln, Schlangen gleich winden sich die Arme, die Taille, die Hüften. Verführung pur. Der Zupateado lockt, leise verhalten erst, dann glühend, voller Leidenschaft. Die Form ist anders, ganz anders als der Flamenco, den die Zigeuner einst sangen und tanzten in Andalusien vor 400 Jahren. Ana Sojor und Conny Sommer haben diesen Tanz entwickelt, in Greven sind sie damit erstmals aufgetreten, sie nennen ihn "experimentell". Doch der Geist des Flamenco ist geblieben, die Leidenschaft für das Leben, die Freude gegen alle Vernunft, das Klammern an die Hoffnung auch angesichts des Todes. Ana Sojor tanzt den Trotz.

Es ist Krieg. Und doch steigt die Sonne jeden Tag aus dem Meer. Kinder werden geboren und die Liebe erwacht. In Scharlach gekleidet, streckt die Tänzerin ihre Arme zur Sonne, mit kleinen Rufen feuern die Musiker sie an, die Füße trommeln eine Ode an das Leben, Funken gleich wirbelt der Rock im Bühnenlicht. Ana Sojor tanzt das Glück.

 

(zurück zum Archiv)