Zartbitter im River Kwai (WN)

„Seidensticker, Hermann“, stellt sich der verklemmte Finanzbeamte vor. Nur gut, daß „Friederike Freunstein“ von „Freunsteins fröhlicher Freundschaftsvermittlung“ helfen kann. Denn: „Mari muß sich schon verkaufen können, um beim Partner anzukommen.“ Den „Zeitgeist“ im Visier - Freitag abend präsentierte „Zartbitter“ das Kabarett „Geht schon mal vor, wir kommen nicht nach“.

Zum dritten Mal hatte die Grevener Kulturinitiative zu einem Kabarettabend eingeladen. Nach Volker Pispers und dem Frauenkabarett „Herrlich- Dämlich“ begrüßte Vorsitzende Annegret Welling-Post das politischliterarische Kabarett „Zartbitter“ in der Gaststätte „River-Kwai“.

Eines war dem Zuschauer schon nach den ersten fünf Minuten des Programms klar: Sprachlich war den beiden studierten Germanisten Matthias Menne und Bodo Woltiri nichts vorzumachen. Ob nun als überdrehter Conferencier oder progressiver Liedermacher - jeder Satz saß, enthielt eine Doppeldeutigkeit. Das kam an, gefiel.

Das Konzept der Kabarettisten, sich zu einem Großteil auf die sprachlichen und rhetorischen Fertigkeiten zu verlassen, war nicht ungefährlich. Stellenweise waren die Witze flach, also peinlich, stellenweise fühlte man «ich an das Niveau von Wandsprüchen erinnert. Wo der Nonsens auf der einen. Seite übertrieben wurde, entlarvte er auf der anderen Seite schonungslos die inhaltliche Leere und Schönfärberei des „Zeitgeistes“, der Konsumindustrie und der Politik.

Nummern wie der Vertrag eines Vaters mit der Leihmuttervermitthingsfirma „Agentur Baby 2000“, der „Kompakt-Kontaktkurs“ und das Interview eines Kultuiredakteuis mit einer ebenso schlechten wie positiv interpretierten Dichterin waren echte Glanzstücke. Satirisch überzeichnete Charaktere des Kritikers, der flache Gedichte intellektuell zu niveauvollen Leistungen hochstilisiert, und des karrierebewußten Vateis, der sich den Sohn aus dem Katalog bestellt, wurden gut und witzig dargeboten. ' Während einige Nummern wie die Kritik des „bioscheuerten Müslifressers“ oder das in einer radioaktiven Welt gesungene Lied „Der Mai ist gekommen“ aus der Mottenkiste gegriffen waren und dem Kenner nur ein müdes Lächeln abverlangten, war anderes neu und sehr interessant. So war die Idee eines Kasperletheaters mit nichtverwertbaren Einwegflaschen und Tetrapackungen originell. Die Werbeanzeige der Chemieindustrie „Lieber Fluß“ wurde mit einem Bericht über die Chemiekatastrophe von Sandoz verquickt und gewann so neue beklemmende Bedeutung.

Das Lachen über „Verhaltenstips für Ausländer“, die den Deutschen und den geschicktesten Umgang mit seinen Wertvorstellungen und Gepflogenheiten beschrieben, blieb den Zuschauern im Halse stecken: Das Merkblatt war keine Satire, sondern echt, verwendet als Hilfe für vietnamesische Flüchtlinge.

Fazit: „Zartbitter“ zeigte ein außerordentlich umfangreiches und vielfältiges Kabarett,' das stellenweise zu flach schien, insgesamt aber gute, kritische Unterhaltung bot.