Axel Siefer im Kulturzentrum (WN)

Komödiantisch oder ernst, tragisch oder komisch. 90 Minuten mutet der Kontrabassist seinem Publikum eine Gratwanderung durch Gefühlswelten zu: Es lacht unverhohlen, um zu überspielen, es schweigt betroffen, um mitzufühlen. Das Instrument und sein Spieler beherrschen derweil die karg ausstaffierte Bühne, spielen ihr Spiel einer ambivalenten Haßliebe, die letztlich im permanenten Inzest des Kontrabassisten mit seinem grammatikalisch zwar männlichen, doch in dex FoTmgebung so eindeutig weiblichen Instrument gipfelt. Weil die Mutter ihm die Liebe nicht gab, vergewaltigt er heute seinen Kontrabaß - Synonym für Mutter und die wild begehrte, doch unerreichbare Mezzosopranistin.

Autor Patrick Süskind läßt kaum Zweifel an der eindeutigen Intention des „Kontrabasses“: Das Orchester wird zum Abbild der menschlichen Gesellschaft, in dem der Kontrabaß seine Rolle zu spielen hat. Der äußerst eingeengte Spielraum des voluminösen viersaitigen Instruments wird dem Publikum in drastischer, sprachlich und mimisch facettenreicher Weise von Minute zu Minute eindringe licher vor Augen geführt. Daß Axel Siefer, Intendant am Kölner Theater im Bauturm und gleichzeitig dessen meistbeschäftigter Schauspieler, im Süskindschen Kontrabassisten vielleicht die Rolle seines Lebens fand, beweisen nicht nur die 450 Auftritte, die der Mime mit Jahdiesem Stück absolvierte. Den Beweis tritt Siefer Abend für Abend an - so auch in Greven, wo er am Freitag abend auf Einladung der Kulturinitiative in einem restlos ausverkauften Kulturzentrum an der Emsdettener Straße spielte.

Der Kölner Schauspieler entwickelt genau die Eigenschaft, die Süskinds Einakter - zunächst als Hörspiel konzipiert - von seinem Akteur verlangt: Bedingungslose Identifikation mit der Rolle. In jeder Phase des Stücks zeigt Siefer diese Bereitschaft. Da ist zu Beginn der verkannte Musiker: „Das Orchester fängt erst an, wenn der Kontrabaß einsetzt“, tönt der Musikus. „Er ist das Fundament, auf dem das Gebäude steht.“ Doch das Selbstbewußtsein des Kontrabassisten ist bereits in dieser Frühphase angeknabbert, eben nur von verbaler Art. Der gehetzte Blick des Unverstandenen, von Mensch wie Iristruemnt geknechteten, schimmert bereits in Siefers blaustrahlenden Augen.

Da ist des weiteren der Gefangene seines Instruments: Mit dem Gardemaß von 1,92 überragt das 8200 DM teure Saiteninstrument seinen Spieler nicht nur längenmäßig. Der Kontrabaß beherrscht den Kontrabassisten. Ob beim Beischlaf - „der Kontrabaß zieht's ins Lächerliche“ - auf winterlicher Pkw-Fahrt zu einem Konzert - „da hab ich ihm meinen Wintermantel umgehängt.

Zu Konzertbeginn war er wohl temperiert, ich hatte mir eine schwere Erkältung gefangen“ - oder in der Wohnung - „der Kontrabaß steht einfach überall im Wege“ - das Instrument knebelt seinen Instrumentalisten. Bis zur körperlichen Folterung reicht die variantenreiche Auseinandersetzung.

Der Zwang, den Bogen über die Saite zu führen, gleicht dem unaufhaltsamen Rhythmus einer sich immer stärker in die Wunde schneidenden Säge. Da spürt der Kontrabassist den physischen Schmerz: Gesichtsmuskeln kontrahieren, Augäpfel quellen, Schweiß rinnt von den Schläfen in den ungebügelten Kragen eines schmudeligen Hemdes. Es leidet nicht nur der Kontrabassist in Süskinds Bühnenskript, es sind die Leiden des Axel Siefer, die dieser zeitweise auch zu den Leiden des Publikum macht.

Doch der Identifikation der Zuschauer mit dem Bühnenhelden wird immer wieder jäh ein Ende gesetzt: Die überzeichnete • Spannung gleitet vom Tragischen ins Groteske, setzt so das Lachen frei.- Ein Ventil fürs Unerträgliche, das sich mit dem stets steigenden Spannungsbogen immer häufiger öffnet. Die Leiden des Kontrabassisten sind grenzenlos. ~Und doch zeichnet sich im Finale ein Hoffnungsschimmer.

Der Kontrabassist, der inzwischen seine Schmuddelklufft gegen Cut und Fliege eintauschte, weist selbst den Weg: In der unmittelbar bevorstehenden Rheingold-Premiere werde er, statt den Baß zu streichen, ein „Sarah“ in den Konzertsaal schmettern, um so der geliebten Mezzosopranistin eine öffentliche Liebesbezeugung zu übermitteln, die gleichzeitig das Sprengen der Fesseln vom Kontrabaß bedeutet. .

Für Süskind nur ein hypothetischer Weg. Der Kontrabassist selbst versperrt den möglichen Fluchtweg: „Ein jeder steht an seinem Platz und tut sein Bestes.“ Ein Zitat, das im übrigen den Leistungen Axel Siefers in vollem Umfang gerecht wird. Ein begeistertes Grevener Publikum verabschiedet den fantastischen Mimen nur ungern.