Lew Kopelew im Gymnasium

„Wir begrüßen eine herausragende Persönlichkeit des kulturellen Rußlands und einen großen Kenner der deutschen Literatur." Einleitende Worte des stellvertretenden Schulleiters des Augustinianums, Klaus Spruch, der Lew Kopelew, der auf Einladung der Kulturinitiative in Greven war, den Oberstufen-Schülern des Gymnasiums vorstellte. Sie hatten sich gemeinsam mit Heinz Beumer zu einer Diskussionsrunde im großen Ratssaal versammelt. Ganz im Sinne' der deutsch-russischen Verständigung, der sich Kopelew Zeit seines Lebens verschrieben hat, war denn auch die Information, die Spruch anschließend mitteilte: „Für eine Woche werden elf russische Schüler und fünf russische- Lehrer Gast am Gymnasium sein."

Mit einer Hommage an den russischen Physiker Andrej Sacharow, der vor drei Tagen 70 Jahre geworden wäre, begann Kopelew das Gespräch, das sich vor allem um Gorbatschow, den drohenden Zerfall des Vielvölkerstaates aber auch um konkrete Möglichkeiten der Hilfe drehte. Skeptisch sah Kopelew dabei die Rolle der USA und der Bundesrepublik, die erst kürzlich auf dem - Gipfel in Amerika zu einem Schulterschluß bei der Unterstützung Gorbatschows gekommen sind. „Wir sollten die Hilfe nicht einem Generalsekretär oder einem Parteiapparat zukommen lassen, sondern dem Volk", appellierte Kopelew für eine andere Art der Hilfe. „Diese Hilfe sollte eine Hilfe zur Selbsthilfe sein, die politisch, wirtschaftlich und moralisch vertretbar ist."

Die Verständigung zwischen Deutschland und Rußland sei eine Notwendigkeit für beide Völker, aber auch für Europa und die ganze Welt. "Es geht um eine Kleinigkeit; die Bewohnbarkeit des Planeten." Bei diesem Versuch, Verbindungen zu schaffen, werde häufig die Rolle der Politik überschätzt. „Kontakte auf allen Ebenen sind erwünscht." Unterschätzt bei diesen Aufgaben werde oft die Rolle der Schriftsteller. „Mit Hans Werner Richter, Heinrich Böll, Erich Maria Remarque haben Schriftsteller Einzug in die Sowjetunion gehalten, die das Bild von Deutschland wesentlich veränderten." Literatur werde da keineswegs zum Selbstzweck geschrieben: „Letzten Endes wirkt das Wort viel effektiver als die Waffe."

Gorbatschow, was ist mit ihm, was wird mit ihm?, Fragen, die viele Schüler drängten. Weder auf ihn noch auf Boris Jelzin dürfe sich das Interesse richten. „Wichtiger als die Personen sind die politischen Strukturen, die der Veränderung bedürfen. Rechte von Minderheiten müssen' endlich auch gesetzlich garantiert werden. Persönlichkeiten wie Jelzin und Gorbatschow kommen aus dem Parteiapparat."

Doch auch die Person Kopelews interessierte. Warum er auch nach Gorbatschows Angebot, wieder in die Sowjetunion zurückzukommen, in der Bundesrepublik geblieben sei, wollte eine Schülerin wissen. Kopelew verwies auf seine neue Aufgaben, die er im Rahmen seiner Hochschultätigkeit entwickelte. In einer Schriftenreihe geht Kopelew mit einigen Mitarbeitern der Frage nach, wie sehen die Deutschen die Russen und umgekehrt. Untersucht wird dieses Feld über eine Distanz von mehreren Jahrhunderten.

„Laßt Euch nicht entmutigen", empfahl Kopelew den Jugendlichen zum Abschluß der Gesprächsrunde. Im übrigen werde er gerne wiederkommen.