Rudi Rhode im Kulturmagazin

Politische Verfolgung in den Diktaturen Lateinamerikas, Haft, Folter und das dubiose Verschwinden Tausender Regimegegner sind für uns noch Vorstellungen, die fest in unserem Amerika-Bild verwurzelt sind. Das Stück „Dies bißchen Freiheit" vom Basta-Theater stellte die berüchtigten Haftbedingungen in einem lateinamerikanischen Gefängnis am Samstag in der Kulturinitiative dar.

Leise, mit einem monotonen Background- Rhythmus, spielt der Theaterschauspieler eine Gefängnisszene nach. Rudi Rhodes feinfühlige Körpersprache vermochte es, die Emotionen des Gefangenen auf den Zuschauer zu übertragen. Die verzweifelten Versuche des Gefangenen, dem Kerker und der psychischen und phyischen Folter zu entkommen, stellte Rhode unter der Maske des von Isolation und Gewalt geprägten Häftlings dar.

Immer wieder hält der Schauspieler auf der Bühne inne, weil er sich langsam mit seiner Rolle identifiziert. Entsetzt reißt er immer wieder die graue Gefangenen-Maske ab. Noch vor dem Ende der Szenen bedroht eine Stimme den Schauspieler. Die Rollenidentität von Darsteller und Gefangenem münden in die Opposition gegenüber dem unsichtbaren Dritten, der immer wieder von einem „Klischee" spricht, wenn er die Gefängnis-Szenen beurteilt. Von oben herab und mit einem frappierenden Ton der Sicherheit erschallt die Stimme, die sich als Antagonist des Schauspielers entpuppt.

Die Regieanweisungen der herrschenden Stimme fordern den Schauspieler auf, auch die andere Seite Lateinamerikas darzustellen, doch dieser kehrt immer wieder zu seiner pessimistischen Sicht zurück. „Stell die ökologischen Probleme dar", fordert der unsichtbare Regisseur.

Er symbolisiert den Entwicklungshelfer der Industrieländer, der eingesehen hat, daß die Zerstörung des tropischen Regenwaldes das erste Mal auch ihn Kopf und Kragen kosten kann. Die Verfolgung politisch Andersdenkender war für diesen Europäer immer geographisch weit weg und beherrschbar. Auf der Bühne fällt hierfür die Plastikfolie, die Schauspieler und Publikum zuvor getrennt hatte. Doch nach der „Was-geht-mich-das-an?"-Mentalität der vergangenen Jahre hat auch den europäischen Entwicklungshelfer nun die Angst seines eigenen Überlebens gepackt.

Der Sündenbock für die Zerstörung des tropischen Regenwaldes und damit nicht nur der Lebensgrundlage der lateinamerikanischen Bevölkerung ist für ihn schnell gefunden: der campensino ist an dem ganzen Dilemma schuld. Der lateinamerikanische Bauer, der ehemals von -der Subsistenzwirtschaft lebte, ist der Bodenkonzentration in den Händen der Großgrundbesitzer zum Opfer gefallen. Sein Los: Entweder verkauft er sich während der Erntezeit als billige Arbeitskraft an die Plantagenbesitzer oder er rodet für sich ein kleines Stück Regenwald. Die unsichtbare Stimme hat das Dilemma des campensions wohl erkannt und hält doch trotzig seinen Lösungsvorschlag dem resignierten Schauspieler entgegen: Entwicklungshilfe durch die Europäer aus reinem Egoismus.

Der Schauspieler wehrt sich gegen diese Form der Darstellung. Im weiteren Stück läßt Rhode die Grenzen zwischen dem europäischen Entwicklungshelfer und dem Industrienationenbürger immer mehr verschwimmen. Das Schicksal der Vertreibung des campensinos in den Regenwald ist die Schuld aller Europäer, so die Darstellung des Schauspielers. Mit Klischees wird jetzt „der" Europäer überhäuft. Eine gesichtslose, überdimensionale Maske trägt der Industriemensch in Rhodes Theater. Sein Handeln auf der Bühne soll das symbolisieren, was den Europäer mitschuldig macht: Einen Hamburger, in zigfache Plastikverpackung gewickelt, enthüllt die Maskenfigur und frißt anschließend wie in Trance Erdnußgebäck aus der Alid-Tüte. Beide Produkte wohl Symbole für die Ausbeutung der „Dritten Welt" durch die Europäer.

Provozieren wollte Rudi Rhode mit seinem Stück „Das bißchen Freiheit", das sagt er selber. Ob ihm das gelungen ist? Die Reaktionen in der anschließenden Diskussion waren ganz anders. Das alte Dilemma wurde erneut sichtbar: Jeder weiß um unsere Schuld und die daraus resultierende Gefahr, doch kaum einer zieht aus dieser Erkenntnis die nötigen Konsequenzen. Es klafft die berühmte Lücke zwischen Denken und Handeln, meinte auch Rudi Rhode und gestand sich diesen Fehler selbst auch ein.