Holger Ziblers im Kulturmagazin

Das Szenenbild trostlos: Ein beschlagenes Fenster, Klappstuhl, Tisch und ein quer durchs Zimmer konstruiertes Abflußrohr. Für Dieter, den Apo-Veteran, gleichsam ein Kommunikationsrohr. Mitten im trostlosen Ambiente sitzt er, arbeitsloser Schauspieler und weggespültes Kind der 68er Bewegung.

Auch 20 Jahre danach bezieht Dieter seine Legitimation immer noch aus jener Zeit, in der er bei jeder Demo ganz vorne dabei war. „Weißt Du noch...", sonnt er sich gern irn Schein der Vergangenheit. Doch die Zeit ist auch für Dieter nicht stehen geblieben. Aus fröhlichem Aktionismus immer gespeist durch Rock'n Roll und Frauen - rutscht er in die Lethargie: Dieter, das exemplarische Beispiel des Gescheiterten. Ein Anruf Schnullis, des Mitstreiters aus den wilden 60ern, bringt die Geschichte und Dieters Lebens noch einmal in Bewegung. Das Angebot des inzwischen avancierten Apo-Manns Schnulli, eine tragende Rolle in einem Theaterspektakel aus den Zeiten der Französischen Revolution zu übernehmen, weckt den schlummernden Dieter und auch viele Zuschauer, die bis zu diesem Zeitpunkt eher abwartend die weinerliche Lebensbewältigung Dieters verfolgen, zumal das Theaterstück fälschlicherweise als Männerkabarett angekündigt war.

Holger Zibler, mit dem Solo-Theater auf Tournee, zieht jetzt alle Register. Dieters Auseinandersetzung mit der angebotenen Rolle gerät zu einem interessanten Vergleich der französischen Revolution mit der 68er Bewegung. In den Gestalten Robespierres, Marats und Dantons verkörpert Dieter, der fröhliche Berufsdemonstrant, die ernsthaften Berufsrevolutionäre. Um Wahrheit bemüht ist seine Auseinandersetzung mit der historischen Rolle, die er immer wieder mit der zeitgeschichtlichen Dimension verknüpft. Wenn Dieter dann traurig sein „It's all over now, baby blue", anstimmt, bleibt beim Zuschauer trotz Abschiednehmens von wilden Zeiten das Gefühl, daß ohne die 68er Bewegung vieles unbewegt geblieben wäre. An Dieter, dem traurig-sympathischen Protagonisten jener Zeit, ging dieser neue Geist nicht spurlos vorbei. Um seiner eigenen Vergangenheit gerecht zu werden, ist Dieters Auseinandersetzung mit jenen Kollegen, die der französischen Revolution ihren Stempel aufdrückten, stets um Wahrheit bemüht.

Zum Kontrahenten wird jetzt Schnulli: Der einstige Mitstreiter beim Kampf gegen den Muff der Talare ist heute der rücksichtslose Verräter dieser Wahrheit. Obschon Dieter nach dreijähriger Arbeitslosigkeit das Theater-Engagement bitter nötig hat, wagt er - um eben jene Wahrheit bemüht - die Auseinandersetzung mit Schnulli. „Du inszenierst Dich nur noch selber", wirft er ihm vor - und erhält prompt die Kündigung. Dieters Preis für die Wahrheit. Holger Zibler entwirft mit „Sehnsucht der Kerle" ein nicht immer ernst zu nehmendes Revolutions-Szenario.

Bar jeder falschen Verherrlichung vermittelt Zibler Zeitgeist und Atmosphäre. Einer der dabei war, möchte man meinen. Einer, der die Zeit genossen hat, wird man weiter feststellen. Keiner indes, der sich im Dschungel der Ideologien verstrickte. „Wir haben die Jahre nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herz erlebt." Keiner aber auch, der bereit wäre, die Ideale von damals restlos zu verkaufen. So entsteht der Konflikt zwischen den einstigen Weggenossen. Während der eine - Schnulli - die Ideale verrät, wächst der andere - Dieter - in seinen Reflexionen über die französischen Revolution noch einmal in die Rolle des Verfechters der Wahrheit hinein. „Gaskammervoll", für Schnulli ein geiler Spruch, ist für Dieter der Anstoß, sich auf die hehren Ideale von einst zu besinnen. Daß die Angst um die eigene Existenz ihn letztlich doch noch zum Kniefall zwingt, ist menschlich und läßt den Helden Dieter auch so erscheinen. Ohne Zeigefinger präsentiert Holger Zibler seinen Dieter und erntet für eine überzeugende Leistung reichlichen Beifall.