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Mehmet Fistik im Kulturmagazin Der Mensch will sich zerreißen. Immer wieder der magische Blick auf die Armbanduhr. Und die jagd ihn hin und her. Bis er sie verschluckt. So. Doch Zeit ist zäh und schwer verdaulich. Mühsam hat der Mensch sie zerkaut und runtergeschluckt. Zwei erhobene Zeigefinger deuten an, was die Stunde geschlagen hat: Das Medium Zeit hat seinen Menschen im Griff. Nicht umgekehrt. Der Mensch aber sollte es humorvoll nehmen. Wie Mehmet Fistik. Der begnadete Pantomime baute am Samstagabend bei der Kulturinitiative den Medienmenschen zusammen, mit dem er bereits 1980 Premiere feierte. Doch zwölf Jahre nach der Uraufführung haben die zeit-, medien- und menschenkritisehen Gesten des Türken nichts von ihrer Intensität verloren. Die Pantomime (aus dem griechischen: alles nachahmend) macht uns nichts vor - sie macht uns nach und führt uns vor. Mehmet Fistik, Jahrgang 1944, arbeitet mit spärlichen Requisiten. Fistiks Handwerkszeug sind seine Gesichtsmuskeln. Der Wahlkölner ist keiner wie du und ich. Er ist wie wir alle. Seine Gesichtszüge wirken wie ein Sammelsurium aller menschlicher Leidenschaften. Als Kinogänger führt er uns vor, wie binnen weniger Minuten Tränen fließen, Fäuste boxen und Hände auf die Schenkel schlagen. Und daß jedes Zucken in Fistiks Gesicht Lachsalven hervorruft, dafür sorgt das unnachahmliche und perfektionierte Mienenspiel des Pantomimen. Fistik ist Kind geblieben. Sein schulranzengeschulterter Schlendrian verkörpert die Zerbrechlichkeit und Unschuld eines neuen Erdenbürgers. Kaum hat der Kleine sich aufgerappelt, die Welt zu erobern, ist er auch schon Opfer: Ein Opfer der Medien. Um die ging es ja. Da sagen die Eltern, was Sache ist, da schreibt die Schallplatte den Rhythmus vor. Nicht lange, dann ist der Fernseher erfunden. Fistiks Leidensweg eines Medienoofers ist auch die Entwicklung der Menschheit. Drei Programme reichen nicht mehr. Eine Zuschauerin wird für Fistik zur Fernbedienung. Der Künstler versteht es meisterhaft, sein Publikum zu integrieren. Berührungsängste werden unterbunden. Ich bin doch einer von euch, schien Fistik mit seinem ganzen Auftritt sagen zu wollen. Das Publikum hat's ihm abgenommen. Zu vertraut waren alle seine Gesten und Mienen. Der Auftritt des Pantomimen funktioniert ja nur, weil seine wortlosen Andeutungen verstanden werden. Alles, was Mehmet Fistik vorspielt, hat man schon mal erlebt - deshalb ist Fistik zum Brüllen. Er parodiert uns bis zum Schenkelklopfen. Er könnte sich zurecht über uns lustig machen, wenn er nicht selbst im Medienbannkreis verloren ginge. Im Laufe seines Auftritts entsteht am Rande der Bühne der Medienmensch, vollgestopft mit allem, was während Fistiks Auftritt Requisite war. Nicht umsonst ist das Ungetüm aus Plexiglas und durchsichtig: Du bist so leicht zu durchschauen. Der Mensch kann ja nichts dafür, daß er wehrloses Opfer aller Umwelteinflüsse ist. Kann er doch ? Kann er nicht. Auch Mehmet Fistik ist ein Medium. Er beeinflußt den Medienmenschen, der im Zuschauerraum sitzt. Der Medienmensch, deckungsgleich und durchsichtig - er ist, was er sein muß: Produkt seiner Welt. Die Zuschauer werden auch ein Stückchen Mehmet Fistik in sich tragen, eine Weile zumindest. Und genau das wollte der Künstler ja auch erreichen.
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