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Leipziger Pfeffermühle im Ballenlager (WN) Wehe wenn sie losgelassen bei der Leipziger Pfeffermühle waren die ersten 30 Prozent ihres kabarettistischen Rittes durch die Nation wahre Anlaufstrecke. Aber das musste wohl so sein, schließlich hieß ihr Programm am Samstagabend im Ballenlager auch 30 Prozent Rabattzzz. Sie legten auf Einladung der Kulturinitiative vor über 300 Besuchern ihre Finger in die Wunden der Nation, streuten noch eine Prise Salz hinein und das Publikum genoss das teils bitterböses Menü. Die Mühlen der Bürokratie mahlen vielleicht langsam, die von Franziska Schneider, Burkhard Damrau und Dieter Richter kamen nach leichten Anlaufproblemen dann so richtig in Fahrt. Die politische Gesamtabrechnung mit der Gesundheitsreform à la Zahnersatz zeigte, dass die erst in diesem Jahr hinzu gestoßene Franziska Schneider durchaus neben Voll-Profis wie Burkhard Damrau und Dieter Richter bestehen kann. Sie sang und lispelte sich zahnlos bis zu einem so schweren Wort wie Zahnersatz-Zusatzversicherung, 30 Prozent gesunde Zähne sind einfach zu wenig, um Zähne zu zeigen. Selbst ein Vampir könnte damit nicht zubeißen, Franziska Schneider aber konnte es. Ihr großer Erfahrungsschatz als ausgebildete Sängerin mit der Künstlersozialkasse hat wohl ihre Weltanschauung stark geprägt. Wo andere verzweifeln, agierte sie als Glücksfee der Renten-Lotterie. Überall im Lande entdeckte sie eine wahre Sparwut, aus dem amerikanischen Yes we can wurde ein deutsches Sparwunder. Allerdings nur da, wo sich die führenden Vertreter aus Politik und Wirtschaft nicht selbst bedienen können. Und das Prinzip des Sozialismus haben die Exportartikel aus Leipzig wohl bis in die letzte Faser verinnerlicht. Da wurde ein Spaziergang im Regen zu einer Grundsatzdiskussion über das Privateigentum. Karl Marx hätte daran bestimmt genauso viel Freude gehabt wie das Publikum. Musikalisch unterstützt wurden die beiden Herren bei ihrem Schirmduett von dem Pianisten Marcus Ludwig und dem Schlagzeuger Peter Jakubik, da wurde aus dem intonierten Im singing in the rain ein virtuos böses Wortgefecht. Rabatte gibt es auf der ganzen Welt, die Leipziger Pfeffermühle spürte sie auf und fand überall ein passendes Fettnäpfchen. Auf dem Bahnsteig fanden sie alle erdenklichen Mittel und Wege, um den Fahrpreis mittels Schwangerschaft, Debilität und Altersdepression zu drücken. Unterhaltsam war der Ausflug in die Welt der Schnäppchen, der reduzierten Wut und der abgespeckten Wohltaten. Doch für diese 30 Prozent Rabattzzz zahlte man gerne seinen Obolus.
100-prozentige Spielfreude gepaart mit genialen Texten erwartete die Zuschauer am Samstagabend im Ballenlager, als die drei Kabarettisten der "Leipziger Pfeffermühle" ihr zweistündiges Programm präsentierten. Rabattaktionen prägen die Geschäftelandschaft in der Vorweihnachtszeit wie ihre bunte Dekorationen: Die angekündigten 30% Ermäßigung, die sich am Samstag wie ein roter Faden durch das Programm zogen, waren aber von ganz anderer Natur. Soziale Sicherung, Mindestlöhne, Gesundheitsvorsorge und Renten: Das waren die politischen Rabattaktionen des Jahres. Um einem schlechten Gewissen der Bürger vorzubeugen, wartete die Regierung im Gegenzug mit hohen Steuern, Abgaben und Gebühren auf. Egal ob zu dritt, gemeinsam auf der Bühne oder einzeln: Franziska Schneider, Dieter Richter und Burkhard Damrau wussten in jeder Rolle, die sie in den kleinen Spielszenen einnahmen, das Publikum zu begeistern. Im Kontrast Jung gegen Alt, Frau gegen Mann wurden zu Anfang sämtliche politisch-brisanten Themen wie Klimaschutz oder die mangelnde Lohngleichheit von Mann und Frau in Zeiten des "Großbürgertums", das nur noch von Geliehenem lebt, sowie die gesamte politische Parteienlandschaft in einem Schlagabtausch durchdekliniert. Zahlen aus dem vergangenen Jahr orientierten sich dabei genauso an der 30%-Marke wie die auch allein sehr präsent und selbstbewusst aufspielende Franziska Schneider in einer Einzelszene, in der sie lispelnd die Problematik nur zu 30% gesunde Zähne zu haben, persiflierte. Dabei überzeugten das Publikum im voll besetzten Ballenlager vor allem ihre ausgefallene Gesichtsakrobatik und ihr voller Körpereinsatz. Eine ungewöhnliche Analogie auf das kommunistisch-sozialistische System lieferten Dieter Richter und Burkhard Damrau. Unter dem Motto "jeder hat ein Recht auf einen Platz unter einem Regenschirm" entbrannte eine amüsante Diskussion um Eigentumsansprüche im Kapitalismus. Dass die drei erfahrenen Schauspieler aus dem Leipziger Raum stammen, dass war den Zuschauern spätestens in einer Bahnszene klar: Mit schönstem Leipziger Dialekt versuchte ein Ehepaar möglichst günstig von Basel nach Zürich zu gelangen. Mit einer unglaublichen Gedächtnisleistung spulte dabei Burkhard Damrau in Hochgeschwindigkeit skurril klingende Rabattkombinationen, wie die Umdeklarierung eines Ungeborenen von Frachtgut zu einem blinden Passagier ab. Das Ergebnis: Ein begeistertes Publikum und 500 Euro Zusatzkosten als Resultat der Rabattbemühungen für das reisewillige Ehepaar. Immer wieder durch musikalische Improvisationen von Markus Ludwig am Piano und Peter Jakubik am Schlagzeug unterstützt, zeigten die drei Schauspieler, dass auch im tiefsten Westen Leiziger Kabarett höchste Konjunktur hat.
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