Hagen Rether im Ballenlager (WN)

Große Gefühle und die Unwegsamkeiten des Alltags waren am Samstag im ausverkauften Ballenlager für Hagen Rether der Stoff, aus dem er sein Programm „Liebe“ kreierte. Seit Jahren wählt der sympathische Kabarettist diesen Titel für sein Programm, das er mit Akribie und scharfem Verstand jederzeit aktualisiert. Für die Freunde des gehoben-bissigen Kabaretts war sein Abstecher aus dem Essener Kohlenpott zur Kulturinitiative Greven ein Erlebnis der Extraklasse.

Politisierend plauderte sich der vor dem Flügel hinflegelnde Hagen Rether mit Sarkasmus und Ironie durch den Abend, bei dem so manche Boshaftigkeit in einem Nebensatz versteckt hervorschaute. Er pries die Vorzüge der Langeweile, demonstrierte diese gar in einem Selbstversuch vor gebannt lauschendem Publikum.

Die Zuhörer im Ballenlager wurden von seinen wie planlos unters Publikum gestreuten Lebensweisheiten in den Bann gezogen. Bei solch gelassener Kompromisslosigkeit war man fast erschrocken, denn seinen Wahrheiten konnte man sich nicht entziehen.

Gnadenlos guckte er hinter die Dinge. Hoch politisch vollzog er einen Spagat zwischen den Alltagssorgen der Menschen und dem großen Treiben im wahnsinnigen Dschungel der Politik. Seine Kalauer trafen wie kleine Pfeile in die Wunden, die er so ganz nebenbei mit seinem kabarettistischen Seziermesser geschlagen hatte. Als Wegzehrung thronten einige Bananen auf dem Konzertflügel, den er allerdings bis kurz vor der Pause zugunsten des Wortgeflechtes seiner politisch-wirtschaftlichen Weltsituationsanalyse vernachlässigte.

Gemäß dem Leitgedanken „Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt hier“ führte er seine Attacken gegen Glaubensgrundsätze, beklagte den Verlust an Moral und ethischen Werten.

Hagen Rether zeigte sich als Zyniker, dessen Blick einfach nichts entgeht. Gutmenschen und Mitläufer bekamen ihr Fett weg.

Weder Papst noch Dalai Lama blieben verschont, da bekam so manch katholisches Herz eine leichte Rhythmusstörung. Charmant zog er das Publikum in seinen Bann.

Er knabberte so nebenbei als Vegetarier an seinen Bananen, aber von solcher Lässigkeit durfte man sich nicht umschmeicheln lassen.

Hagen Rether war jederzeit präsent, wandelte sich unvermutet vom reinen Geschichtenerzähler zum bitterbösen Angreifer und haute mit Bravour dem Publikum den Zeitgeist um die Ohren.

Er tarnte sich als „sympathischer“ Unterhalter am Klavier, um dann jegliche Klischees zu durchbrechen. Einfache Erklärungen für die breite Masse wirkten bei ihm wie eine Herausforderung zur Unzufriedenheit. Denn nicht „die da oben“ tragen alle Schuld der Welt, sondern jeder einzelne ist Protagonist in diesem irren Spiel.